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Porträt Gartenfotografin

Als Fotografin Gefühle auslösen und Gefühle einfangen“

Seit exakt 20 Jahren ist Margit Wild freie Fotoreporterin in Mecklenburg-Vorpommern. Mit ihrer Nikon klettert sie auf Seilbahnen, in die Tiroler Alpen oder in den Hallen heimischer Werften. Ihr Herz hängt ebenso an grünen Themen, wie an rasanten Reportagen. Immer dicht an den Menschen, immer mit Blick für das Besondere. 

Veröffentlicht am
Thomas Wild
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„In einem guten Foto darf nichts aus dem Rahmen fallen. Alles muss Zeichnung und Kontur haben."
Margit Wild

 

Die Hüllen fallen schnell. Mit einem Ruck ziehen Leif-Eric und Felix ihre Shirts aus. Und die Hosen. Und die Unterhosen. Ohne Klamotten am Körper, dafür mit Spaten auf den Schultern, springen die beiden in den Greifswalder Bodden. Von Fotografin Margit Wild, die sich mit professioneller Miene hinter ihre Kamera verdrückt, werden Leif-Eric und Felix, die heute als Freiwillige einer Stiftung für ein Magazin porträtiert werden, dezent ins hüfthohe Wasser dirigiert. Man hört das Klicken des Auslösers, das Schwappen der Wellen und das zarte Zähneklappern der fröstelnden Fotografin: „Alles nicht so wild.“

Einsatz seit 20 Jahren

Für wilde Motive, spannende Fotos und ihren besonderen Blick auf die Welt hat die Fotografin in den letzten 20 Jahren nicht selten die Zähne zusammengebissen. Sei es, als sie mit Kamera die Seilbahn der Rostocker IGA bestieg und hoch über dem Ausstellungsgelände, auf der Suche nach den besten Motiven, die eigene Höhenangst über Bord warf. Sei es,  bei formellen Anlässen, wenn sie Promis aus Politik und Wirtschaft ins Licht rückt oder für eine einfühlsame Reportage die Bewohner einer Obdachlosen-Unterkunft oder eines Hospizes begleitet. Oder sei es für eine Story über heimische Landwirtschaft, für die sie sich mit dem Radlader in die Höhe hieven lässt. „Jede Situation ist neu. Um eine Situation, eine Stimmung im Bild einzufangen, muss ich sie mit dem Auge erfassen. Und dann in Bruchteilen von Sekunden entscheiden.“

Über Umwege zur Fotografie

Für den Sprung in die Selbstständigkeit im April 2004 hat sich Wild mehr Zeit gelassen. Schließlich war ihr Weg zur Fotografie kein fertiges Drehbuch, sondern ein Weg mit Umwegen. Einige Schnappschüsse: Geboren 1967 in Eberswalde, lernt Margit Wild nach der Schule einen Beruf mit dem sperrigen Titel „Facharbeiter für elektronische Datenverarbeitung“. Nein, gegendert wurde damals nicht, auch anderes scheint im Rückblick aus der Zeit gefallen: Wild sitzt an Großrechnern und lernt heute längst vergessene Programmiersprachen. Nach der Ausbildung arbeitet sie am Institut für Bodenkunde in Eberswalde. Fasziniert ist sie dort allenfalls von den Luftbildern; nach der Arbeit zieht sie mit ihrer kleinen Kamera Taxona los, macht stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die sie zum Teil selbst entwickelt. Aber davon leben?

Die Umbrüche der Wende stellen die Weichen. Nach der Geburt ihrer Tochter zieht sie 1992 mit ihrem Mann nach Rostock und beginnt dort eine Fortbildung zur Mediengestalterin. Beim erfahrenen DEFA-Kameramann Hubert Dzikowski lernt Wild, wie man ein Storyboard entwickelt, Filme spannend schneidet und beim Dreh von Filmen und Videos die Kamera souverän führt. Sie lernt aber auch, was gute Fotos von schnellen Schnappschüssen unterscheidet: eine professionelle Bildgestaltung. Damals erlernte Grundsätze sind für sie bis heute gültig: „In einem guten Foto darf nichts aus dem Rahmen fallen. Alles muss Zeichnung und Kontur haben. Vorder- und Hintergrund müssen harmonisch sein, Harmonie geht vor Schärfe.“

IGA ist Auslöser für Selbstständigkeit

Was sie gelernt hat, gibt Margit Wild prompt weiter: 1994 bis 1996 organisiert sie am Rostocker Institut für neue Medien Video-Workshops für Kinder, 1996 bis 1997 ist sie Kamerafrau und Cutterin beim Rostocker Stadtfernsehen – eine Schule der besonderen Art: „Da habe ich gelernt, in Bildern zu sehen und mit Bildern Geschichten zu erzählen.“ Diese Erfahrung hilft: Von 2001 bis 2004 ist sie Fotografin der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) in Rostock, wo sie ihr Herz für grüne Themen, für Gartengestaltung, Nachhaltigkeit und kreative Deko entdeckt. Danach ist für Margit Wild klar: „Ich wollte keinen Chef mehr haben.“

Margit Wild macht einen Businessplan und einen klaren Cut: Ab April 2004 ist sie freie Bildjournalistin. Zu ihren ersten Kunden gehören die IHK Rostock ebenso wie Garten-, Frauen-, Lifestyle-Magazine. Mit ihrem besonderen Blick für und ihrem Ohr an der Region, ihrer Zuverlässigkeit und Spontanität erobert sie nicht nur Kunden, sie schließt auch Menschen auf, die selten vor einer Kamera stehen. 

Was zählt, ist der Mensch hinter der teuren Technik 

Apropos: Ihre Kamera, die passenden Objektive und die notwendige Software haben den Wert eines Kleinwagens, müssen ständig gewartet und regelmäßig erneuert werden – ein Fakt, den Kunden bei der Preisgestaltung nicht immer im Blick haben. Doch am Ende zählt neben der teuren Technik der Mensch hinter der Technik. „Ein Bild ist so gut wie das Auge des Fotografen. Trotz glänzender technischer Möglichkeiten ist es noch immer die Kunst des Fotografen, Wirklichkeit in spannende Motive zu verwandeln“, sagt die Fotografin. Daran wird, so glaubt sie, auch künstliche Intelligenz wenig ändern.

Die „Kunst des Fotografen“? Wild sieht sich weniger als Künstlerin, sondern als Bildjournalistin, die mit wachem Blick und routinierter Technik Gefühle einfängt und bei den Betrachtern auslöst. Und sie sieht sich, nach manchem Umweg, am Ziel: „Als Fotografin möchte ich alt werden.“ Das könnte klappen – auch wenn bis dahin noch manche Hülle fällt